Corona Fragmente
Da wo einstmals Menschen saßen,
stehen nur mehr Stühle rum.
Da wo wir die Zeit vergaßen,
herrscht allenfalls Erinnerung…

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Die einzige Art, gegen die Pest zu kämpfen, ist die Ehrlichkeit.
(Albert Camus)

Corona – und wichtiger: der politische, gesundheitliche, soziale, psychische, pädagogische, demokratische und nicht zuletzt auch der mediale, sprachliche und kommunikative Umgang damit – ist ein in vieler Hinsicht einzigartiges und krisenhaftes Großereignis. Es hat viele Menschen in die Flucht geschlagen. Die Welt und die Menschen in einem Ausmaß und in einer Tiefe erschüttert, das außerhalb von Kriegszeiten bisher unvorstellbar war. Es ist viel zu früh, dieses komplexe Ereignis einmal genauer einzuordnen und zu bewerten. Dafür sind die verschiedenen Perspektiven, Bezugsysteme, Dynamiken und Konsequenzen zu vielschichtig. Möglicherweise waren wir – im Kleinen wie im Großen – in der Nachbetrachtung zumindest in Teilen auch wie „von Sinnen“. Auch die Rolle der Medien muss dabei kritisch hinterfragt werden.

Was aber bereits jetzt deutlich wird, ist eine große Fragilität und Aufgeregtheit der modernen Gesellschaft. Ihre Dauerbefeuerung durch mediale „Live-Ticker“, ein wildes Durcheinander unterschiedlicher Bezugssysteme, manche Entgleisungen und eine hilflose Suche nach Orientierung und Grenzen. Insbesondere das Thema Grenzen und Grenzziehungen (psychisch, sozial, räumlich-geografisch, etc.) erscheint als ein zentrales Bestimmungsmoment und als Kampfgebiet. Eine sich zunehmend allmächtig wähnende und in technischer Machbarkeit ergehende Gesellschaft muss nun mit diesem schweren Einbruch und tiefer Verunsicherung leben. Bis hinein in ihre Grundfeste und in alle sozialen Beziehungen (daher erscheint auch das „Social Distancing“, statt korrekt: „Physical Distancing“, als eine besondere Art von Sprachverwirrung, geht es im Gegenteil nicht gerade darum, trotz räumlicher Distanz sozial verbunden zu bleiben…).

Was sich durch Corona einmal längerfristig ändern wird? Schwer zu sagen. Ereignisse sind zunächst einmal (nur) Ereignisse. Ein Geschehen. Keine Strukturen, keine Strömungen, kein Wandel und auch kein Handeln.

Große Strukturen und Strömungen entwickeln und bewegen sich in historischer Betrachtung in der Regel erst über viele Jahre, Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte. Daher sind Auffassungen, dass die Welt nach Corona eine „völlig andere“ sei, dass „nichts mehr so sein wird, wie es war“, dass nun „alles auf den Kopf gestellt wird“ zumindest mit Vorsicht zu betrachten. Krisenhafte Ereignisse spülen Tieferliegendes, zumindest im Keim schon Angelegte, nach oben, machen uns dieses transparenter. Halten uns den Spiegel vor.

Was der Mensch aus den Ereignissen macht, in welche Narrative und Bedeutungskontexte er diese überführt, hat er selbst in der Hand.